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Montag, 18. Januar 2016 / 17:57:19
Generation Ecstasy
Jede Generation hat ihre Drogen. Meine Generation ist auf Pille. Ob früher in Form von Ecstasy oder heute Antidepressiva; wir machten aus dem Glück in Pillenform ein Lifestyle.
Eigentlich hätte meine Generation (um die 1970 Geborenen) auch als «Generation Platzspitz» oder «Generation Letten» enden können; schliesslich war die offene Drogenszene in unseren Teenie-Jahren ein Dauerthema und lockte mit einem einfach zugänglichen Drogenmarkt. Doch irgendwie war Heroin eher was für die Generation «AJZ», die sich in ihrer Selbstgefälligkeit suhlte.
Anders als die Generation «No future» sahen wir positiv dem neuen Jahrzehnt entgegen und freuten uns auf das digitale Zeitalter, das 1990 mit dem Nintendo-Gameboy und Compact-Disc schon zwei Gründe lieferte sich nicht zu Tode zu fixen.
Wie die Nadeln für die Vinylplatten allmählich ausgedient haben, taten dies auch die Heroin-Spritzen - sie wurden durch praktische Pillen ersetzt. Ecstasy: Diese neue Generation von Drogen war nicht mehr einlullend sondern euphorisierend wie ein Glücksbärli-Trip.
Unsere Generation brauchte kein Autonomes Jugend-Zentrum, um sich zu treffen, weil es immer irgendwo einen unbenutzten Raum gab, den man mit Bass, Freunden und Stroboskop-Blitzen füllen konnte. Sogar die Strasse konnte zur Party werden - und glaubt es mit der Streetparade bis heute zu sein. Doch erst die bunten Ecstasy Pillen machten aus einem tristen Tanz im Kellerloch einen trippy Mega-Rave. Ecstasy war so aufregend wie man heute glaubt, dass es Berlin anfangs der 90er Jahre war.
Wie Berlin nach dem Mauerfall aus dem Dornröschen-Schlaf erwachte, erweckte Ecstasy meine Generation, die sich plötzlich mit Nuggi im Mund (gegen das Kiefermahlen) und Sonnenbrille (wegen den geweiteten Pupillen) im blitzenden Strobo-Gewitter wiederfand und in schamanische Exstase tanzte. Es war sowohl Rebellion als auch Botschaft, still und laut zugleich.
Nicht nur deshalb war Ecstasy die Droge meiner Generation. Ecstasy riss Mauern persönlicher Hemmungen nieder, erhöhte die Leistungsgrenzen, steigerte das Glücksniveau und gaukelte das Gefühl eines unvergesslichen Momentes vor, dem ein noch viel unvergesslicherer Moment folgte.
Am Montag war die erleuchtende Exstase dann weg und die Euphorie einer tiefen Leere gewichen, die meine Generation auf bewährte Weise regelt: noch mehr Pillen.
Kein Wunder gehören Antidepressiva seit den 90er Jahren zu den meistverkauften Arzneien. Zwar sind es auch Ältere und Jüngere, die sich Prozac & Co einwerfen; aber vor allem ist es meine Generation, die ihre Kinder mit Ritalin & Co. abfüllt und immer noch an das Glück aus der Dose glaubt.
Jürg Zentner (Quelle: news.ch)
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