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«Es ist gar nicht ausgemacht, dass der europäische Weg zur Religionsfreiheit der einzig richtige ist.» Kirche in Lake Louise, wo im November der Ski-alpin-Weltcup ausgetragen wurde.


«Wenn das Ja zum christlichen Evangelium das Ja zum Islam ausschliesst, dann zeigt das, dass es um Verschiedenes geht, auch wenn beide von Gott und Glauben reden.» Minarett der grössten Moschee der Schweiz in Petit-Saconnex, erbaut 1978.


Prof. Ingolf U. Dalferth, Direktor des Instituts für Hermeneutik und Religionsphilosophie am Lehrstuhl für systematische Theologie, Symbolik und Religionsphilosophie der Uni Zürich.

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Freitag, 25. Dezember 2009 / 18:52:21

«Die Angst vor dem Islam ist nicht das Problem» (Teil 2)

Das Christentum ist in einer Phase der «ungenügenden Selbstartikulation», was den Eindruck erweckt, der Islam würde derzeit auf dem Vormarsch sein. Religionsphilosoph Professor Ingolf U. Dalferth spricht sich im Interview mit news.ch für ein entschiedeneres Engagement der Christen für ihre Religion aus.

news.ch: Ein oft wiederholtes Argument war der Verweis auf sogenannte 'islamische Länder'. Kann man z.B. Saudiarabien [hier kein Minarett, weil da kein Kirchturm] mit der Schweiz so einfach vergleichen? Da gibt es keine Religionsfreiheit.

Dalferth: Die Nationen sind zum Ziel der Religionsfreiheit hin sehr unterschiedlich auf dem Weg, und viele sind auf diesem schwierigen Weg trotz aller Lippenbekenntnisse noch nicht weit fortgeschritten. Da bleibt weltweit noch viel zu tun. Aber es muss auf dem Weg der Selbstüberzeugung und Selbstkorrektur geschehen, nicht als nur äusserlich akzeptierte Massnahme oder als aufgenötigte Übernahme von Lösungen aus anderen politischen Erfahrungstraditionen.

Es ist gar nicht ausgemacht, dass der europäische Weg zur Religionsfreiheit der einzig richtige ist: Er hat seine guten Gründe in den speziellen Erfahrungen Europas seit dem 16. Jahrhundert. Aber was im Blick auf die Differenzen der christlichen Kirchen eine Lösung war - politische Neutralität, Partizipation aller an den grundlegenden politischen Entscheidungen, Ausweitung der Religionsrechte von Gemeinschaften (Kirchen) auf Einzelne (z.T. auch gegen ihre Kirchen) - das muss so keineswegs überall funktionieren.

«Neutralität und Indifferenz nicht per se erstrebenswerter Zustand»

Neutralität und Indifferenz ist nicht per se ein erstrebenswerter Zustand, sondern immer auch eine Verlustgeschichte. Wenn Neutralität gegenüber religiösen Überzeugungen und Lebensformen nicht propagiert wird, um bestimmte Probleme zu lösen, sondern zu einem leeren Wert an sich wird, dann kann darauf zu insistieren selbst zum Auslöser von Problemen werden.

news.ch: Viele Muslime meinen, der Islam mache im Gegensatz zum Christentum keine Kompromisse. Sie sehen den «westlichen Lebensstil» als Schwäche des Christentums und bieten vielen Verunsicherten damit einfache Antworten. Ist das Christentum, wie Bischof Kurt Koch meint, gerade in einer Schwächephase?

Dalferth: Es ist in einer Phase der ungenügenden Selbstartikulation. Man hat die politisch und rechtlich gebotene Neutralität in der Gleichbehandlung der Religionen weithin auf die eigene Teilnahme an religiösen Lebensformen übertragen und diese damit ausgehöhlt. Doch man kann nicht ohne Engagement der ganzen Person und Entschiedenheit religiös christlich leben. Man kann nicht neutral glauben oder auf distanzierte Wahrscheinlichkeitserwägungen seine Teilnahme oder Nichtteilnahme an einer gelebten Glaubensform gründen.

«Der Glaube sagt nicht 'Ja, aber...'»

Der Glaube sagt nicht 'Ja, aber...' oder 'Ja, vielleicht...', er propagiert auch kein 'sowohl als auch', sondern ein 'so und nicht anders'. Wer nicht lernt, als Bürger für die Neutralität von Recht und Politik gegenüber den Religionen einzutreten und zugleich als Christ entschieden für den christlichen Glauben zu sprechen (und nicht für eine vage Religiosität oder eine undifferenzierte Gleichheit aller Religionen) und in der säkularen Welt unmissverständlich als Christ zu leben, der hat die Lektion der Moderne nicht begriffen und die Herausforderung der Zeit nicht verstanden.

news.ch: Ist dieser Anspruch der unbedingten Wahrheit auch das irritierende am Islam?

Dalferth: Die verbreitete Rede vom 'Wahrheitsanspruch der Religionen' ist problematisch. Sie legt nahe, Wahrheit könne, wenn überhaupt, nur 'beansprucht' oder 'behauptet' werden und lasse sich nicht ernsthaft vertreten oder zurückweisen, ehe sie nicht bestätigt und begründet oder eben widerlegt sei.

Doch diese Rede von Wahrheitsansprüchen ist eine moderne Problemverkürzung. Sie kennt nur fragwürdige Wahrheitsbehauptungen, die bis zum Erweis des Gegenteils allenfalls hypothetisch zu erwägen sind, aber keine die Augen, das Herz und den Verstand packenden und öffnenden Wahrheitseinsichten, kein Überzeugtwerden, Befreitwerden und neu Orientiertwerden durch Wahrheit.

«Eine Religion beansprucht nicht, wahr zu sein»

Wissenschaften mögen Wahrheitsansprüche erheben, Religionen tun es nicht. Eine Religion beansprucht nicht, wahr zu sein, sondern bekennt ihre Wahrheitsüberzeugung, indem sie in Sprache, Handeln und Denken zum Ausdruck bringt, woher sie sich und alles übrige versteht und wovon sie lebt.

Bekenntnisse aber sind keine Behauptungen, über deren Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit zu streiten sinnvoll wäre. Wer Ansprüche erhebt, erhebt sie gegen die Ansprüche anderer, und derartige Anspruchsstreitigkeiten pflegen vor Gericht zu enden. Wer das Christentum oder den Islam so versteht, missversteht sie. Sie verkünden keine Wahrheitsansprüche, sondern das, was sie aus ihren Erfahrungen als lebensorientierende Wahrheit erkannt haben.

Diese Wahrheit provoziert das Amen oder das Nein, Danke von Menschen, und wenn das Ja zum christlichen Evangelium das Ja zum Islam ausschliesst, weil man sein Leben nicht gleichzeitig in zwei verschiedenen Weisen leben kann, dann zeigt das, dass es um Verschiedenes geht, auch wenn beide von Gott und Glauben reden.

news.ch: Anders gefragt: Fordert die islamische Wahrheitsüberzeugung die Noch-nicht-Gleichgültigen heraus? Das hat es so lange nicht gegeben und führt doch zu einer aggressiven Stimmung.

Dalferth: Es kommt alles darauf an, wie man seine Wahrheitsüberzeugung vertritt. Die Stärke der eigenen Überzeugung ist keine Garantie dafür, Recht zu haben. Man kann auch niemanden dazu zwingen, das Leben so und nicht anders zu sehen oder zu leben. Man kann vielleicht für andere denken, aber man kann sicher nicht für andere glauben. Unbedingt ist deshalb nur eine Wahrheit, die sich selbst für andere überzeugend zur Geltung bringt, sich aber verflüchtigt und in ihr Gegenteil verkehrt, wenn sie mit Gewalt oder per Verordnung anderen aufdrängen oder vorschreiben will.

«Christen sollen eigene Wahrheitsüberzeugung deutlicher vertreten»

Nur was sich frei anerkennen, annehmen, einsehen und mit vollziehen lässt, ist unbedingt. Nur eine solche unbedingte Wahrheit verdient es, religiös vertreten zu werden. Und nur wenn sie mit Mitteln vertreten wird, die ihrer Unbedingtheit entsprechen, wird sie von ihren Verfechtern und Verkündern nicht ruiniert, sondern in der ihr entsprechenden Weise zur Geltung gebracht.

Wenn die islamische Wahrheitsüberzeugung die Christen herausfordert, dann dazu, den Charakter ihrer eigenen Wahrheitsüberzeugung deutlicher zu vertreten. Der ist nicht Aggression gegen Andersdenkende und Andersglaubende, sondern er hat seine Pointe gerade umgekehrt darin, in ihnen Nächste zu sehen – Menschen also, denen Gott sich ebenso zum Nächsten macht wie einem selbst. Würde das deutlicher verstanden und deutlicher gelebt, sähe die gegenwärtige Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Christen anders aus.

news.ch: Werden sich die beiden grossen christlichen Konfessionen in Zukunft wie andere Religionen auch weiter in kleinere Zellen aufspalten oder werden sie gar verschwinden oder fusionieren?

Dalferth: Über die Zukunft des Christentums zu spekulieren ist müssig. Das Christentum war noch nie monolithisch oder einheitlich, sondern immer ein geschichtliches Phänomen von grosser kultureller und religiöser Vielfalt. Das wird aller Voraussicht auch so bleiben. Das hat auch damit zu tun, dass das Christentum, pointiert gesagt, gar keine eigene Religionsform ist, sondern eine Veränderungskraft, die überall dort, wo sie wirksam wird, Kulturen und Religionen verändert, nicht, um sie durch eine andere Religion zu ersetzen, sondern um Menschen auf Gottes Gegenwart aufmerksam zu machen und sie zu einem menschlicheren Leben in der Freiheit der Geschöpfe Gottes zu befähigen.

«Weihnachten ist nichts anderes als Ostern rückwärts gelesen»

Kirchenformen, Konfessionen und Gemeinschaftsgestalten der Christen sind kein Selbstzweck, sie haben sich immer wieder verändert, und die soziale Selbstorganisation der Christen wird auch in Zukunft neue Gestalten hervorbringen. Doch nicht sie als solche sind wichtig, sondern dass sie in der jeweiligen Zeit dazu beitragen, die befreiende Botschaft von Gottes guter Gegenwart unter den Menschen auf wirksame Weise zum Zug kommen zu lassen, also so, dass diese aus eigener Überzeugung dazu Amen sagen, nicht weil sie sich fremdem Willen unterwerfen, sondern weil ihr Wille Gottes Wille ist und Gottes Wille ihr Wille wird.

news.ch: Was wird überleben, Weihnachten oder Ostern?

Dalferth: Weihnachten war theologisch noch nie etwas anderes als Ostern rückwärts gelesen. Das Osterzeugnis war der Ausgangs- und Anfangspunkt des christlichen Glaubens in Fortführung und Zuspitzung der Geschichte Jesu und des Judentums. An beiden Festen feiern Christen im Grunde dasselbe: Dass Gott aus freien Stücken und zum Besten seiner Geschöpfe auf deren Seite gewechselt ist und sie in sein göttliches Leben aufnimmt. Wenn das nicht mehr gefeiert wird, ist das Christentum Vergangenheit. Hat es mit der von ihm verkündeten Wahrheit aber Recht, dann kann man sich getrost darauf verlassen, dass das nicht geschehen wird.

Tino Richter (Quelle: news.ch)

http://www.st.gallen.ch/news/detail.asp?Id=421233
Links zum Artikel:

  • Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie
  • «Die Angst vor dem Islam ist nicht das Problem Teil 1
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    Foto: hpgruesen (Pixabay License)

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