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Autoren
Roger Walch
(Schweizer Arbeiterliteraturpreisträger 1990)
VON A BIS Z (1989)
Der kleine Taschenbrockhaus hatte es ihr angetan. So viel Wissen auf
einem Haufen. Von A bis Z. Alphabetisch geordnet. Man brauchte bloss den
richtigen Band herauszusuchen und den gesuchten Begriff nachzuschlagen.
So einfach war das. Ihre Augen glänzten. Ja, ja, als ihr Mann noch
lebte. Da wehte noch ein anderer Wind. Da wäre es ihr nie in den Sinn
gekommen, vor dem Schaufenster der Buchhandlung zu verschnaufen, geschweige
denn, so spät noch Besorgungen zu machen. Schliesslich wollte ja der
Tisch gedeckt, das Abendessen gekocht und die Wohnung aufgeräumt sein.
Alles wollte am rechten Platz sein, wenn er von der Arbeit nach Hause kam.
Sie half ihm immer aus seiner Jacke und hängte sie feinsäuberlich
in den Kleiderschrank. Sie nahm seine Schuhe vom Boden auf, die er achtlos
abgestreift hatte, klopfte sie vor der Tür schnell ein-, zweimal zusammen
und stellte sie schön parallel ins Schuhkästchen. Die Zeitung
hatte sie vorher schon auf das Sofa gelegt. Bei all diesen Verrichtungen
fiel kein Wort. Keine Begrüssung, kein Dank, keine Reaktion. Stumm.
Er wollte in Ruhe gelassen werden. Er hatte sich auch nie gross um die
Kinder gekümmert, als sie noch zu Hause wohnten. Zu müde, zu
schlecht gelaunt. Die beiden Buben hatten Respekt vor ihm. Nur wenige Male
waren sie richtig übermütig. Doch dann konnte er ganz schön
aufbrausen. Jähzorn. Der Jähzornige wurde er geheissen. Manchmal
auch: der Griesgram. Irgendwie war er noch stolz darauf gewesen.
Und dann der Arbeitsunfall, zwei Jahre vor seiner Pensionierung. Sie hätte
es ihm gegönnt, einmal ausspannen zu können. So richtig den Tag
geniessen. Von frühmorgens bis spätabends. Aber es wollte nicht
so sein. Er hatte sich aufgegeben im Spital. Die letzten Wochen im Krankenhaus.
Hatte zu niemandem mehr gesprochen. Nur die Decke angestarrt und gewartet.
Er hatte kein leichtes Ende gehabt, weissgott.
Sie trug seinen Tod mit Fassung. Nur am Anfang weinte sie noch ein bisschen, wenn
sie den Tisch für sich alleine decken musste. Aber sie gewöhnte sich rasch
daran, allein zu sein. Sie kam schneller darüber hinweg als beim Auszug
ihrer Söhne. Sie verlangte nicht viel vom Leben. Witwenrente und AHV
genügten, sie durchzubringen. Sie hatte Glück gehabt mit dem
Alter. Nur schade, dass sie nichts Anständiges gelernt hatte im Leben,
dachte sie. Keinen Beruf. Sie hätte gerne irgendwo mitgeholfen. Aber
man brauchte nur qualifizierte Kräfte, hiess es. Und überall:
sie sei zu alt. Manchmal war ihr langweilig. Man konnte nicht den ganzen
Tag bloss dasitzen und stricken und dazwischen Besorgungen machen. Sie
wollte etwas lernen. Sie fand, dass ihr das gerade in ihrem Alter gut anstehen
würde.
Und jetzt stand sie vor besagter Buchhandlung und drückte
sich am Glas des Schaufentsters die Nase platt. Sogar ein Sonderangebot.
So viel Wissen auf einem Haufen. So billig wie noch nie. Sie kramte ihre
Geldbörse aus der Einkaufstasche und zählte. Es würde reichen.
Sie war ein wenig verlegen, getraute sich nicht recht. Aber dann gab sie
sich einen Stoss. Und schon stand sie vor der freundlich lächelnden
Verkäuferin, die sie nach ihren Wünschen fragte. Zwei Minuten
später stand sie bereits wieder vor dem Laden. Mit einer riesigen
Plastiktragtasche. Das Fräulein hatte die Bücher aus dem Karton
genommen und sie einzeln in die Tasche getan. So hatten alle Bände
Platz. Sie lächelte. So viel Wissen auf einem Haufen. Und alles gehörte
nun ihr. Ihr allein.
Von der nächsten Telefonkabine aus bestellte
sie sogar ein Taxi. Sie war ganz aufgeregt. So etwas war ihr noch nie passiert.
Dass sie mir nichts dir nichts in eine Buchhandlung ging und so viel Geld
ausgab. Bloss für Bücher. Sie wagte sich gar nicht auszumalen,
was ihr Mann dazu gesagt hätte. Der hätte schön getobt.
Sie stieg ins Taxi und liess sich bis vor die Haustür fahren. Als
sie zahlen wollte, wurde sie bleich. Sie merkte, dass sie nicht mehr genug
Geld bei sich hatte. Das war auch das erste Mal, dass ihr so etwas widerfuhr.
Es war ihr direkt peinlich. Sie liess den verständnislosen Chauffeur
im Wagen warten und beeilte sich, in ihrer Wohnung die fehlende Summe zu
holen. Vor dem Hauseingang stellte sie ihre kostbare Last ab und zog den
Schlüssel hervor. Seltsam. Sie schloss doch sonst immer ab. Nachdem
sie eingetreten war, wollte sie in die Küche, wo sie ihr Geld in einer
Schublade aufbewahrte. Aber Stimmengewirr aus dem Wohnzimmer liess sie
einhalten. Was es bedeuten mochte? Sie stiess die Tür zur Stube auf.
Und tatsächlich, da sassen ihre Söhne mit zwei eleganten Geschäftsherren
im Gespräch vertieft. Sie merkte sofort, dass es sich um Geschäftsleute
handeln musste. Unverkennbar. Sie sah es an den Anzügen, den Aktenkoffern
und am Gebaren der zwei. Doch was hatten sie hier bloss zu suchen? Ein
ungutes Gefühl beschlich sie. Als sie näher trat, verstummte
das Gespräch mit einem Schlag. Acht Augen musterten sie kritisch.
Darf ich vielleicht fragen, was es mit dieser Geheimsitzung in meiner
Wohnung auf sich hat?, fragte sie fast ein wenig schnippisch. Ihr Ältester
stand auf: Mutter, reg dich nicht auf. Aber du hast die Wohnungsmiete
schon wieder nicht bezahlt. Das ist jetzt schon das vierte Mal. Und die
Mahnbriefe hast du gar nicht erst aufgemacht. Weder die Mahnbriefe noch
die übrige Post. So geht das doch nicht weiter. Das musst du doch
selber einsehen. Diese zwei Herren sind gekommen, weil sie dir helfen wollen.
Herr Werner ist vom Wohnungsamt und Herr Gysing von der städtischen
Fürsorgekommission.
Ich brauche keine Hilfe, wehrte sie schroff
ab. Und jetzt geht, ich möchte meine Ruhe haben, fügte sie
hinzu.
Nun war es am jüngeren, aufzustehen. Mutter. Wir wollen doch
nur dein Bestes. Mutter...ich...Mutter, du kommst ins Altersheim. Es war
totenstill im Raum. Man hat dir gekündigt, Mutter, schon lange. Und
Herr Werner war schon drei Mal hier, aber du hast nie aufgemacht. Der
Angesprochene nickte heftig. Mutter, du hast nicht hören wollen.
Es tut uns leid, dass wir so handeln müssen. Aber so hat es doch keinen
Sinn. Schau doch bloss, wie vernachlässigt die ganze Wohnung schon
ist. Und du weisst, dass wir uns keine Haushaltshilfe für dich leisten
können. Herr Gysing hat uns versprochen, ein gutes Plätzchen
für dich zu finden. Du musst dich halt in Gottes Namen damit abfinden.
Und Herr Werner ist sogar bereit, auf die Verzugszinsen zu verzichten.
Er senkte die Augen und wartete. Aber sie blieb stumm. Sie hatte sich auf
einen Stuhl sinken lassen und weinte lautlos vor sich hin. Weinte über
ihre Ohnmacht, ihre Hilflosigkeit.
Es klopfte an die Tür. Der Taxifahrer
erkundigte sich nach seinem Fahrgeld und schaute verdattert in die Runde.
Der ältere Sohn winkte ihn heran und zahlte die verlangte Summe. Der
Chauffeur dankte und verabschiedete sich.
Draussen vor der Tür stand die Plastiktragtasche mit dem Taschenbrockhaus.
Drinnen war Schweigen.
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